“Die drei größten Fehler bei unserem Umgang mit der Digitalisierung”
Erstveröffentlichung auf LinkedIn
„Digitalisierung“ ist das Schlagwort unserer Zeit. Aber in der hitzigen Detaildiskussion von Datenschutz, über Soziale Medien bis hin zu steigenden Roboterarbeitsplätzen sind ein paar grundlegende Probleme auf der Strecke geblieben.
Fehler Nummer Eins: Wir unterschätzen dramatisch die Geschwindigkeit
Wir sind nicht wirklich gut darin, exponentielle Entwicklungen einzuschätzen. Bei meinen Vorträgen liegen selbst ausgewiesene Fachleute regelmäßig weit daneben, wenn es darum geht eine Entwicklung hochzurechnen, die sich bei jedem Entwicklungsschritt verdoppelt. Wir sind es gewohnt linear und analog zu denken und zu schätzen.
Stellen Sie sich folgendes Szenario vor: Sie betreuen einen Dorfweiher mittlerer Größe, sagen wir ungefähr 100 x 50 m groß. Rundum bewachsen, idyllisch gelegen. Ein Traum. Dummerweise wird Ihr Weiher nun von Algen befallen. Diese Algen teilen und verdoppeln sich alle 7 Tage. Anfangs s
ehen Sie gar nichts, dann ein bisschen im Uferbewuchs. Sie beobachten die Geschichte. Ihr Algenbewuchs wird schlimmer und nimmt schließlich stark zu. Nach 20 Wochen ist ca. ¼ des Dorfweihers betroffen.
Preisfrage: Wie viel Zeit bleibt Ihnen noch, bevor der Weiher komplett zu ist? Das sollte leicht zu rechnen sein oder? Bei einer Verdoppelung alle 7 Tage, ist nach einer Woche der halbe Weiher zu und nach 2 Wochen der komplette Weiher. Sind Sie darauf gekommen? Der überwiegende Teil der Bevölkerung rechnet (speziell hinsichtlich der ähnlichen Effekte der Digitalisierung) etwas so: Es hat 20 Wochen gedauert, um den Weiher zu ¼ mit Algen zu bedecken. Es sind also noch ¾ offen. Das wird noch dauern, ich muss mich langsam kümmern, aber es eilt nicht besonders.
Angenommen, Sie reagieren sofort und entfernen mit einigem Aufwand und vielen Helfern die Hälfte des Befalls. Wie viel Zeit haben Sie nun, bevor der Weiher wieder komplett zugewachsen ist? Dieses Mal sind es drei Wochen. Sie haben nur eine Woche gewonnen. Sie verstehen die Dringlichkeit? Dasselbe gilt für die Digitalisierung. Das alles wird kommen, (so sicher und so schnell wie die Algen), aber sehr viel brachialer, als es sich die meisten vorstellen können und wollen.
Fehler Nummer Zwei: Wir hoffen uns zurück, in die Zeit, als alles besser war
Veränderung macht Angst. Das ist verständlich, wir sind nicht darauf ausgelegt, ständig zu reagieren und uns immer wieder neu anzupassen. Die Mehrzahl tut es, wenn überhaupt nur langsam und widerwillig. Das erklärt auch den Trend, sich nach der „guten alten Zeit“ zurückzusehnen. Je nach politischer Ausprägung in die 80er, 90er Jahre (als ein Arbeiter noch eine Familie ernähren konnte), in die frühen Jahre des Wirtschaftswunders, oder noch früher, als ein Diktator alles im Griff zu haben schien.
Dummerweise gibt es diesen Weg zurück gar nicht. Er ist schlicht nicht existent. Die Beschleunigung der Welt ist ja nicht nur ein Effekt der Digitalisierung. Die ersten Autos fuhren wortwörtlich langsamer, ca. 5 h/km. Dann 50, dann 100, 200. Technisierung und Industrialisierung haben schon immer die Welt nicht nur verändert, sondern auch beschleunigt. Sich zurückzuwünschen in eine Zeit, als der Weiher noch keine Algen hatte, ist zwar verständlich, löst aber nicht das Problem. (Ebenso wenig wie eine Mauer um den Teich zu ziehen)
Veränderung macht Angst und erfordert Anpassung. Alte Modelle und Lösungen heraus zu kramen und irgendwie passend zu klopfen ist eben einfacher, als kreativ und innovativ zu werden. Die Kunst dabei ist ja gar nicht, für alles und jedes eine Lösung bereit zu haben. Die One4all Lösung beginnt damit grundsätzlich anzuerkennen, dass wir in einer instabilen, sich schnell verändernden Welt leben werden. Wir können uns die Vergangenheit nicht zurückholen, wir können höchstens eine großartige neue Welt mitgestalten und verstehen, dass wir im weiteren Verlauf unsere bestehenden Systeme immer wieder neu anpassen müssen. Es ist der Wechsel von Statik zu Dynamik in sehr vielen Bereichen.
Fehler Nummer Drei: Wir denken, es gibt nur eine große, umfassende Veränderung
Wir haben diese Idee, dass mit der Digitalisierung eine einzige Veränderung kommt. So ungefähr 2025 haben eben Taxifahrer und LKW-Fahrer keinen Job mehr (wegen autonom fahrenden eAutos) und einige andere wie Fließbandarbeiter, Straßenbauer und Maurer auch nicht mehr (wegen Robotik und Automatisierung). Dann müssen die eben umgeschult, wieder ins System gebracht werden und dann ist alles gut. Das stimmt aber so nicht, weil einige Jahre später (sagen wir mal 2035) der nächste große Umbruch kommt, zu etwas, dass wir uns noch gar nicht vorstellen können und 2045 wieder und 2055 ebenfalls. Noch viel gewaltiger als jeweils alle anderen Umbrüche zuvor ….
Die wichtigste Fähigkeit, die wir lernen und lehren müssen ist Re-Invention, die Fähigkeit sich selbst alle paar Jahre neu zu erfinden. Wer heute Taxi, Bus oder LKW fährt wird vielleicht Personal Trainer (weil Sport schon immer seins war und die Nachfrage steigt), aber weitere 5-10 Jahre später, gibt es Software, welche die Trainingsanleitungen besser gibt als jeder Mensch. Die Bewegungen analysieren und verbessern kann, die Muskelkontraktion messen und direktes Feedback geben kann. Unser Ex-Taxifahrer, jetzt Personal Trainer, hat wieder keinen Job mehr und muss sich erneut neu erfinden.
Das Beispiel gilt aber auch für viele andere Menschen, aller Bildungsebenen. Ein Jurist für Vertragsrecht wird die nächsten Jahre einfach von Smart Contracts und Blockchain-Technologien überrollt, danach spezialisiert er sich vielleicht auf ein anderes Rechtsgebiet, internationales Devisenrecht zum Beispiel. Als innerhalb der nächsten 10 Jahre alle Nationen nach und nach auf Kryptowährungen umstellen, muss auch er sich erneut anpassen und wechselt vielleicht komplett die Branche.
Die wichtigste Fähigkeit, die praktisch jeder zukünftig entwickeln muss, die wir auch an den Schulen und Universitäten unterrichten sollten, ist die Fähigkeit zum Andauernden sich selbst neu erfinden. Das ist nicht dasselbe, wie „lebenslanges Lernen.“ Sich in seinem Beruf und seiner Branche immer weiter zu entwickeln ist lebenslanges Lernen, einen völlig neuen Beruf bzw. eine neue Branche zu wählen (oder sogar zu initieren) ist etwas ganz anderes. Re-Invention ist das Zauberwort. Zukünftig muss sich so gut wie jeder Mensch mehr als nur einmal im Leben überlegen, „was er werden bzw. sein will.“